AVWS/Auditive Wahrnehmungsstörung / Zentralauditive Verarbeitungsstörung

Bei einer zentral-auditiven Verarbeitungsstörung ist das Hörorgan im Innenohr völlig intakt. Betroffen ist die Weiterleitung von Höreindrücken vom Innenohr zum Gehirn und/oder Verarbeitung im Gehirn.

Bei einem Verdacht auf eine zentral-auditive Verarbeitungsstörung ist es angezeigt, zunächst Hörstörungen, die das Mittel- oder Innenohr betreffen, durch einen Hörtest ausschließen zu lassen. Anschließend kann die Diagnostik der Hörwahrnehmung bei einem spezialisierten HNO-Arzt erfolgen. Bestätigt diese Untersuchung das Vorliegen einer zentral-auditiven Verarbeitungsstörung, kann ein Training der betroffenen Teilfunktionen im Rahmen einer logopädischen Therapie erfolgen.

Die Stationen des Hörens in vereinfachter Form:

  • Aufnehmen des Schalls im Mittelohr
    Beim Hören trifft ein Schall (Sprache, Töne, etc.) auf das Ohr und löst im Trommelfell Schwingungen aus. Diese Schwingungen werden ins Mittelohr auf die Gehörknöchelchen weitergeleitet.
  • Hören des Schalls im Innenohr
    Die Schwingungen der Gehörknöchelchen lösen im Innenohr in der Hörschnecke Schwingungen aus. Diese Schwingungen sind, je nach Tonhöhe, unterschiedlich groß und reizen an der entsprechenden Stelle in der Hörschnecke.
  • Weiterleitung des Schalls auf die Nervenbahnen (=zentrale Hörbahn)
    Dort, wo im Innenohr die Hörschnecke gereizt wird, reagieren Nervenfasern auf diese Reizung. Die Nerven nehmen diesen Impuls auf und leiten ihn über verschiedene Nervenbahnen und –umschaltstellen weiter in Richtung Gehirn.
  • Erkennen des Gehörten im Gehirn
    Über die Nerven kommt das Gehörte im Gehirn an. Dort vollzieht sich die eigentliche auditive Wahrnehmung. Bis jetzt wurde nur der Schall aufgenommen und weitergeleitet. Erst durch die Verarbeitung im Gehirn können wir einordnen, was wir gehört haben, wie laut es war, was es bedeutet, woran es uns erinnert, worin Unterschiede zu anderem Gehörtem liegen, ob es ein wichtiger Schall war (z.B. die Stimme der Lehrerin) oder ein unwichtiger (z.B. das Rascheln mit den Blättern des Banknachbarn) und vieles andere mehr.

Störungen der zentral-auditiven Verarbeitung:
Die meisten Kinder zeigen nicht nur in einem oder zwei dieser Teilleistungen Auffälligkeiten, sondern meistens liegen Kombinationen der Schwächen in unterschiedlichen Bereichen vor. Diese Schwächen können sehr unterschiedlich ausgeprägt sein.

Auditive Aufmerksamkeit:
Auditive Aufmerksamkeit ist die Fähigkeit, sich einem Schall zuzuwenden und diesen bewusst wahrzunehmen. Ist die auditive Aufmerksamkeit gestört, so ist das Kind im ausgeprägtesten Fall nicht in der Lage, sich auf Geräusche und Sprache zu konzentrieren. Vor allem gelingt dies nicht über einen längeren Zeitraum.

Speicherung von Gehörtem:
Das Gehirn ist in der Lage, Gehörtes erst im Kurzzeitgedächtnis zu speichern, bevor es durch ständige Wiederholung in das Langzeitgedächtnis übertragen wird. Den Speicher im Kurzzeitgedächtnis brauchen wir, um mehrere kurz aufeinander folgende Höreindrücke miteinander in Verbindung bringen zu können. Wir brauchen ihn zum Beispiel dafür, um zwei Höreindrücke später miteinander vergleichen zu können, um Unterschiede erkennen zu können. Den Langzeitspeicher brauchen wir, um Dinge, die wir schon einmal gehört haben, wieder zu erkennen, um Wortschatz oder Satzmuster aufbauen zu können und für die Speicherung, um uns allgemein in unserer klanglichen Umgebung zurechtfinden zu können, indem wir die Geräuschkulisse durch Vergleiche mit früher bereits Gehörtem einordnen können.
Bei Störungen in der Speicherung sind die Kinder nicht oder nur unzureichend in der Lage, sich Worte, Ausdrücke, Aufträge, Gedichte oder Lieder zu merken.

Reihenfolgespeicherung von Gehörtem (="Sequenzverständnis")
Das Gehirn ist in der Lage, Höreindrücke in ihrer richtigen Reihenfolge zu speichern. Dies ist zum Beispiel für den Erwerb von Satzmustern, aber auch von Wörtern wichtig. Kinder mit Schwierigkeiten in diesem Bereich zeigen in der Sprachentwicklung oft hartnäckige Laut- oder Silbenverdrehungen, die sich später auch in der Schriftsprache zeigen.

Richtungshören:
Das Gehirn ist in der Lage festzustellen, aus welcher Richtung ein Schall kommt und wie weit die Entfernung zur Schallquelle ist.
Die Kinder können sich im ausgeprägtesten Fall nicht der Schallquelle zuwenden. Die Kinder können sich dann nicht oder nur unzureichend auf den Schall konzentrieren. Bei reduziertem Richtungshören fällt es zudem schwer, den "Nutzschall" vom "Störschall" abzugrenzen. Kinder mit reduziertem Richtungshören sind auch im Straßenverkehr besonders gefährdet. Auch die Einschätzung bezüglich der Entfernung von Geräuschen (z.B. ein herannahendes Auto) gelingt nicht ausreichend.

Unterscheidung unterschiedlicher Höreindrücke (="Differenzierung"):
Das Gehirn ist in der Lage, Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Höreindrücken (Worten, Geräuschen) zu erkennen.
Wenn die Differenzierungsfähigkeit eingeschränkt ist, zeigen die Kinder sprachlich zum Beispiel hartnäckige Lautersetzungen, z.B. ersetzen sie /k/ durch /t/, obwohl sie oftmals eigentlich in der Lage sind, /k/ zu sagen.

Figur-Hintergrund-Unterscheidung:
Das Gehirn ist in der Lage, wichtige, bedeutungsvolle Geräusche aus der Umgebungs-Geräusch-Kulisse herauszuhören. Es kann den sog. "Nutzschall" vom "Störschall" abgrenzen und herausfiltern. Der Störschall kann ausgeblendet werden.
Kinder mit Schwierigkeiten in diesem Bereich haben meist enorme Probleme, jemandem zuzuhören. Sobald andere Geräusche in der Umgebung sind, lassen sie sich ablenken oder verstehen die sprechende Person nicht mehr.

Analyse:
Das Gehirn ist in der Lage, einzelne Elemente aus einem komplexen Höreindruck herauszulösen. Im Bereich der Sprache bedeutet das zum Beispiel, dass das Gehirn in der Lage ist, in einem Wort die einzelnen Buchstaben zu bestimmen, selbst wenn es ein Wort ist, das man noch nie zuvor gehört hat. Kinder mit Schwierigkeiten in diesem Bereich zeigen sprachlich oft hartnäckige Lautersetzungen. Im ausgeprägtesten Fall erkennen sie Wörter nur als ein Ganzes und haben wenig Vorstellung darüber, dass Wörter einen Anfang und ein Ende haben. Sie können oftmals nur schwer bestimmen, ob ein Wort zum Beispiel lang oder kurz ist. Sie haben wenig Vorstellung über die einzelnen Laute, die in einem Wort vorkommen. Diese Kinder können nur schwer die Schriftsprache erwerben und zeigen nicht selten eine Lese-Rechtschreib-Schwäche.

Synthese:
Das Gehirn ist in der Lage, einzelne Schall-Elemente zu einem Ganzen zusammenzusetzen und zu verstehen. Im sprachlichen Bereich kann es aus nacheinander gesprochenen Einzellauten ein Wort zusammensetzen. Die Synthese ist somit das Gegenstück zur Analyse. Kinder mit Schwierigkeiten in diesem Bereich zeigen häufig eine Lese-Rechtschreib-Schwäche.

Ergänzung:
Wenn wir aufgrund von Störgeräuschen oder aus anderen Gründen etwas nur teilweise verstehen oder hören können, ist unser Gehirn bis zu einem gewissen Grad in der Lage, das Fehlende zu ergänzen.
Kinder mit Problemen in diesem Bereich haben häufig große Schwierigkeiten, dem Unterricht zu folgen. Bei Diktaten kommt es häufig vor, dass diese Kinder versagen, da sie das, was sie nicht Laut für Laut gehört haben, nicht sinnvoll ergänzen und aufschreiben können.

Wenn Sie Ihr Kind bei einer zentral-auditiven Verarbeitungsstörung unterstützen wollen, sprechen Sie deutlich und dem Kind zugewandt. Vermeiden Sie überflüssige Nebengeräusche wie zum Beispiel Dauerbeschallung durch Fernsehen oder Radio!

Audiva:

Lateralisation:
Die Musik und die Sprache wandern dabei durch den Kopfhörer immer abwechselnd von einem Ohr zum anderen. Durch diese Anregung sollen Nervenstrukturen neu miteinander verbunden werden; die Zusammenarbeit der beiden Hirnhälften soll gefördert werden. Die Lateralisation soll Auswirkungen auf die Aufmerksamkeit, auf das Sprachverständnis, auf das Richtungshören, auf das Entfernungshören, auf die Figur-Hintergrund-Wahrnehmung, auf die Merkfähigkeit und auf die Unterscheidungsfähigkeit akustischer Reize haben.

Hochtonfilterung:
Bei der Musik und der Sprache werden die tiefen Klanganteile herausgeschnitten und die hohen Klanganteile verstärkt. Dadurch klingt vor allem die Sprache sehr klar und deutlich, weil eine akustische Kontrasterhöhung stattfindet.
(Wenn beim Fernseher das Bild zu hell oder zu dunkel erscheint, kann man den Bildschirmkontrast einstellen. Etwas Ähnliches soll durch das Hochtontraining mit dem Gehörten geschehen.)
Dadurch soll das Nervensystem angeregt werden. Durch die hohen Töne soll zudem eine erhöhte Energiezufuhr im Gehirn stattfinden.

 

Literatur & interessante Links

  • "Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung im Kindesalter", Nathalie Lupberger, 2007, Schulz-Kirchner-Verlag
  • "Kinder mit Wahrnehmungsstörungen", Heidrun Becker, 2007, Schulz-Kirchner-Verlag