Late Talker – verspäteter Sprachbeginn bei Zweijährigen

Vielleicht kennen Sie die Situation: Ihr Kind spielt auf dem Spielplatz, rutscht die Rutsche runter, springt herum – doch in einem Punkt unterscheidet es sich von den anderen Kindern: es spricht nicht! Wahrscheinlich haben Sie sich schon viele Gedanken darüber gemacht und sind schon mit den Worten: "Das kommt schon noch!" vertröstet worden. Late Talker beginnen verspätet zu sprechen, obwohl alle anderen Bereiche normal entwickelt sind. Eine Hörstörung sollte ausgeschlossen werden können. Sie lernen nur langsam neue Wörter und sprechen mit zwei Jahren noch keine 50 Wörter. Bis zum dritten Geburtstag können etwa die Hälfte der Late Talker ihren sprachlichen Rückstand aufholen. Bei der anderen Hälfte entwickelt sich eine spezifische Spracherwerbsstörung. Die Kinder zeigen vor allem Defizite in der Grammatik ihrer Muttersprache.

Bildet ein Kind eine spezifische Spracherwerbsstörung aus, kann die Gefahr bestehen, dass sich auch in anderen Entwicklungsbereichen Folgeprobleme ergeben. Beispielsweise haben viele dieser Kinder Mühe mit dem Lesen und Schreiben. Sie laufen Gefahr, in Ihrer gesamten schulischen Laufbahn Probleme zu entwickeln. Auch kann es zu Auffälligkeiten in der emotionalen und psycho-sozialen Entwicklung kommen. Die Kinder können oft nicht das sagen, was sie wollen und werden von gleichaltrigen Kindern im Kindergarten vielfach ausgestoßen. Oftmals entwickeln diese Kinder dadurch Strategien, die von der Umwelt als negativ eingestuft werden. Sie wenden sich z.B. vermehrt Erwachsenen zu, die sich ihren sprachlichen Fähigkeiten anpassen.

Mit Blick auf die sensiblen Phasen im Spracherwerb empfehlen die meisten Spracherwerbsforscher heute bei Kindern mit einer spezifischen Spracherwerbsstörung eine logopädische Therapie. Die positive Wirkung der Frühtherapie hat man in verschiedenen Studien nachgewiesen. Je früher die Sprachtherapie einsetzt, desto eher kann sie sich günstige Ausgangsbedingungen schaffen. Eine Sprachtherapie, die erst im Schulalter einsetzt, ist zwar immer noch notwendig, aber eigentlich bereits verspätet.

Ursachen:
Beim Spracherwerb spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Zum einen sind dies die Eltern, die dem Kind Sprache anbieten und zum anderen das Kind selbst, das die Sprache entdecken und verarbeiten muss. Daneben beeinflussen genetische und biologische Faktoren den Spracherwerb. Genauso viele Faktoren sind bei einer Störung beteiligt. Es müssen mehrere Faktoren zusammen kommen.

Die Eltern tragen nicht die Schuld an einer Spracherwerbsstörung. Es gibt Kinder, die sehr wenig Sprache hören und die Sprache trotzdem unauffällig erwerben. Es gibt aber Eltern, die anders mit einem spracherwerbsgestörten Kind sprechen oder dass sie weniger sprachfördernde Mittel verwenden. Teilweise unterfordern Eltern die Kinder, weil sie sich dem Sprachstand und nicht dem Entwicklungsstand des Kindes anpassen. Dies ist vor allem dann, wenn sie sich Sorgen machen und merken, dass etwas nicht in Ordnung ist. Jedoch wird das Verhalten der Eltern auch immer vom Verhalten der Kinder beeinflusst. Vielfach konnte gezeigt werden, dass Kinder mit einer Spracherwerbsstörung sprachliches Material weniger gut verarbeiten können. Die Leistungen im sprachlichen Kurzzeitgedächtnis sind schlechter als dasjenige bei sprachunauffälliger Kinder. Es gibt Theorien darüber, dass spracherwerbsgestörte Kinder eine verlangsamte Hörbahnreifung haben, also dass akustische Reize länger brauchen um vom Ohr zum Gehirn zu gelangen. Andere Theorien besagen, dass die Anatomie des Gehirns bei diesen Kindern anders sei. Es wird aber immer noch darüber diskutiert, ob diese anatomischen Veränderungen eine Spracherwerbsstörung auslöst oder erst durch sie verursacht wird, also ob ein Teil des Gehirns kompensatorisch für eine andere Struktur in den Spracherwerb eingreift und sich die anatomischen Strukturen dadurch verändern.

Es kann sein, dass die Kinder eine genetische Veranlagung für eine Spracherwerbsverzögerung haben, das heißt, dass diese angeboren sein kann. Es müssen aber zusätzliche Faktoren hinzukommen, um eine Verzögerung auszulösen. Für eine solche Veranlagung spricht, dass Mädchen weniger als Jungen gefährdet sind, eine Spracherwerbsstörung auszubilden. Es gibt dreimal mehr Jungen, die von einer solchen Störung betroffen sind.

Quellen:

  • Dannenbauer, F.M. (2001b): Spezifische Sprachentwicklungsstörungen. In: Grohnfeldt, M. (Hrsg.): Lehrbuch der Sprachheilpädagogik und Logopädie Bd. 2: Erscheinungsformen und Störungsbilder. Stuttgart: Kohlhammer, 48-74
  • Kauschke, C. (2006): Late Talker. In Siegmüller, J.; Bartels, H. (Hrsg.): Leitfaden. Sprache – Sprechen – Stimme – Schlucken. München: Urban & Fischer, 65-68
  • Grimm, H. (2003): Störungen der Sprachentwicklung. 2. Aufl. Göttingen; Hogrefe
  • Buschmann, A; Jooss, B. (2007): Frühintervention bei verzögerter Sprachentwicklung: "Heidelberger Elterntraining zur frühen Sprachförderung", In: Forum Logopädie 5, 6-11
  • Ritterfeld, U. (2000a): Zur Prävention bei Verdacht auf eine Spracherwerbsstörung: Argumente für eine gezielte Interaktionsschulung der Eltern. In Frühförderung Interdisziplinär 19, 80-87

Literatur

  • "Die Entdeckung der Sprache", "Kindersprache, Kinderspiele", "Wenn Kinder die Sprachen nicht entdecken", "Spracherwerbsstörung", Dr. Barbara Zollinger